Stimmungsmacher
Polen tut sich mit der völkermordartigen Vertreibung der Ostdeutschen mindestens genauso schwer, wie die Türkei mit dem Völkermord an den Armeniern. Die Rhetorik ähnelt sich, mit dem Unterschied, dass sich deutsche Medien an der Stimmungsmache gegen die entrechteten Landsleute beteiligen.
Wie SPIEGEL Online bereits am vergangenen Dienstag berichtete, haben Krzysztof Ruchniewicz (Polen) und andere „renommierte Historiker“ ihre Mitarbeit im Wissenschaftlichen Beraterkreis der Berliner Vertriebenenstiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ beendet. Ruchniewicz begründete dies damit, dass ihm der neue Direktor der Stiftung, Winfrid Halder, den er als „Regionalhistoriker“ abqualifizierte, unbekannt sei.1)SPIEGEL Online – 30.06.2015
Zum Abschluss des Artikels spricht SPIEGEL Online von einer „fortgesetzten jahrelangen Pannengeschichte der Vertriebenenstiftung“. In dieselbe Kerbe schlägt auch ZEIT Online mit dem Titel „Hört der Streit denn nie auf?“ Bereits im Einleitungssatz unterstellt die Autorin Alice Bota, eine bekennende Deutschpolin, dem Bund der Vertriebenen, „für Streit zu sorgen“.2)ZEIT Online – 2.07.2015
Allerdings verzerrt Alice Bota die Aussage der Charta der deutschen Heimatvertriebenen, von 1950. In dieser empfanden sie sich fünf Jahre nach Ende des des Zweiten Weltkriegs im zerstörten Deutschland „als die vom Leid dieser (Nachkriegs-) Zeit am schwersten Betroffenen“ und appellierten an das Gewissen „der Völker“. Die Journalistin Bota relativiert individuelles Leid, wenn sie die Vertreibung der Ostdeutschen als „Vergeltung“ (frz. la revanche) für einen vorausgegangenen deutschen Vernichtungskrieg darstellt.
In diesem Sinne kommentiert auch auf SPIEGEL Online „viceman260“:
die polnischen und tschechischen wissenschaftler machen es richtig. diese stiftung soll nur aus den deutschen tätern, den zerstörern eines ganzen kontinents und massen- und völkermördern jetzt „arme opfer“ machen. es sei allen gesagt, ohne deutschen angriff, vom deutschen faschismus ausgehenden weltkrieg hätte es diese „vertreibung“ nicht gegeben. im gegenteil, von 1939 bis anfang 1945 haben deutsche millionenfach menschen kreuz und quer durch europa getrieben.30.06.2015, 20:09 von viceman260
Solche kollektivierenden Schwarz-Weiß-Darstellungen der Geschichte rund um den Zweiten Weltkrieg, die die Menschenrechte bzw. das Völkerrecht völlig ausklammern, sind leider nicht nur auf Kommentarseiten zu finden. Wer in solch polemischer Weise schreibt und beschuldigt, muss sich die Frage gefallen lassen, ob es ihm/ihr mehr um eine historische oder um eine politische „Wahrheit“ geht.
Zwar erwähnt Alice Bota, dass der Bund der Vertriebenen „namhafte Historiker aus Ungarn, Polen und Tschechien“ in seine Erinnerungsstiftung einbezogen hat. Sie würdigt jedoch nicht, dass dies eine Besonderheit, ja geradezu eine Ausnahme hinsichtlich einer nationalen Erinnerung darstellt. Man könnte auch der Meinung sein, dass wir doch sicherlich nicht die Vertreter der Vertreiberstaaten fragen werden, wie wir unserer Opfer gedenken wollen. Ein Kommentator auf SPIEGEL Online schreibt dazu:
Die Berliner Vertriebenenstiftung sollte eigentlich die Vertreibung der deutschen Bevölkerung in den Ostgebieten und die dabei aufgetretenen Gewalttaten dokumentieren und zur Erinnerung an folgende Generationen weitergegeben werden, sozusagen gegen das Vergessen. Warum hier alle möglichen Vertreter aus den Vertreiberstaaten und sogar Zentralräte, die mit der Sache überhaupt nichts zu tun haben, mitmischen müssen, ist nicht nachvollziehbar. Offensichtlich ist eine Verwässerung und Relativierung dieser unmenschlichen Ereignisse angestrebt.30.06.2015, 18:48 von Freischärler,
Gegenüber ZEIT Online beklagt der polnische Professor Krzysztof Ruchniewicz, dass sich vor allem die Vertriebenen „mit ihren Vorstellungen durchsetzen“. Für die Vertriebenenverbände hat die Deutschpolin Alice Bota ein schmähendes Vokabular parat: „Funktionäre, beherzte Revanchisten, stickige Folklore und Nazis.“ – Ein Totschlag-Vokabular, das sie – folgt man den Ausführungen ihres Artikels – eventuell von ihrer Mutter übernommen hat. Diese hat bis zur Übersiedlung in den Westen im Jahr 1988 wohl die dazu passende polnische (kommunistische) Erziehung „genossen“, in der eine solche Rhetorik einen entschuldigenden Charakter gegenüber den Verbrechen der Annektierung Ostdeutschlands und der Vertreibung fast der gesamten Bevölkerung hatte bzw. noch hat. „Noch hat“ deswegen, weil der Historiker Ruchniewicz wegen seiner Mitarbeit im Stiftungsbeirat „in Polen von Nationalkonservativen verunglimpft“ worden sei. Vielleicht ist diese Agitation der wahre Grund für seinen Rücktritt.
Quellen