Füchse in der Hühnerfarm
Der neue Chef der Stasiunterlagenbehörde, Roland Jahn, möchte ehemalige hauptamtliche Stasi-Mitarbeiter versetzen lassen. Viele Verfolgte des SED-Regimes empfanden ihre Präsenz in dieser Opferbehörde bislang wie einen Schlag ins Gesicht. Nun könnten auch die Rosenholz-Akten etwas mehr Licht in die Stasi-Infiltrierung Westdeutschlands bringen. Der neue Aufklärungswille der Behörde scheint jedoch manchen nicht zu passen…
Der Journalist Roland Jahn (*1953 in Jena) wurde im Januar 2011 vom Deutschen Bundestag zum neuen Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen (BStU) gewählt.1)Offizielle Homepage des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik Im März trat er dann die Nachfolge von Marianne Birthler an. Gleich nach seiner Wahl ließ Jahn verlauten, ehemalige hauptamtliche Stasi-Mitarbeiter aus eben jener Behörde zu entfernen, die sich mit der Aufarbeitung der Verbrechen der Stasi beschäftigt.
Prinzipiell müsste das das Selbstverständlichste der Welt sein und man kann sich nur wundern, dass dieser von den Opfern der DDR-Diktatur seit Jahrzehnten geforderte Schritt nicht bereits früher gegangen worden ist.
Da jedem einleuchten müsste, dass Stasioffiziere in einer Stasiunterlagenbehörde etwa so nützlich sind, wie Füchse in der Hühnefarm, muss der inszenierte Skandal um die Umsetzung der Altkader tiefere Ursachen haben.Vera Lengsfeld2)Vera Lengsfeld: Die Stasi war auch ein Teil der Bundesrepublik…, Die Tagespost Nr. 60, 21.05.2011, S. 9.
Erstaunlich sind nun diverse Ausfälle von Politikern, die Roland Jahn z.B. “Menschenjagd” (Dieter Wiefelspütz, SPD) vorwerfen. Professor Richard Schröder, der für die SPD im Beirat der Behörde sitzt, versteigert sich sogar zu der unglaublichen These, die “Perspektive der Opfer” dürfe “nicht das letzte Wort haben” – womit die Täter natürlich fein raus wären.
Erschreckend sind diese Verharmlosungsbemühungen von Politikern und auch verschiedener Journalisten hinsichtlich der verbrecherischen Tätigkeit der Stasi-Offiziere.
Die 91 000 Stasioffiziere haben, ausgehend von “Ideenkonferenzen”, in denen psychologisch geschulte Kader die Schwachstellen der zu “zersetzenden” Personen analysierten, die systematische Zerstörung von Persönlichkeiten, Familien, Berufskarrieren und Freundeskreisen geplant und durchgeführt.Vera Lengsfeld
Vera Lengsfeld (bis 2005 Mitglied des Deutschen Bundestags) erhofft sich mithilfe der sog. “Rosenholz-Akten” etwas mehr Aufklärung über den Einfluss der Stasi in Westdeutschland. Diese Akten enthalten zahlreiche Informationen über “Inoffizielle Mitarbeiter” der Stasi in der BRD. Bekannt ist zwischenzeitlich, dass z.B. die systematische Schändung jüdischer Friedhöfe in den sechziger Jahren von der Stasi organisiert worden war. Bekannt wurde auch, dass RAF-Terroristen in der DDR Unterschlupf und eine neue Identität fanden.
Der früheren Stasi-Unterlagen-Beauftragten Marianne Birthler (Bündnis 90/Die Grünen) wirft Lengsfeld vor, “keinerlei Interesse” an einer Aufarbeitung sowohl der Rosenholz- als auch der Kurras-Akten gehabt zu haben. Jahrelang schlummerten diese ungeachtet in den Tiefen der BStU-Archiven.
Im Gegenteil, als eine Mitarbeiterin 2009 die 17 Bände einer “Geheimablage” Kurras entdeckte und ein anderer Mitarbeiter die Entdeckung veröffentlichte, bekam er ein Arbeitsrechts-Verfahren, obwohl er die Publikation seinem Vorgesetzten vorschriftsmäßig angezeigt hatte.Vera Lengsfeld
Trotz massivem Gegenwind von diversen prominenten Politikern erwartet Vera Lengsfeld, die 1981 Mitbegründerin eines der ersten halblegalen Oppositonskreise der DDR war, dass mit Roland Jahn “bislang liegengebliebene Themen endlich angepackt werden”. So lange das Kapitel Stasi im Westen nicht aufgeklärt sei, könnten die Stasi-Akten nicht geschlossen werden…
Quellen
↑1 | Offizielle Homepage des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik |
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↑2 | Vera Lengsfeld: Die Stasi war auch ein Teil der Bundesrepublik…, Die Tagespost Nr. 60, 21.05.2011, S. 9. |