Eine Verfassung wird Exportschlager

Vor sechzig Jahren, am 23. Mai 1949, trat das deutsche Grundgesetz in Kraft – die Geburtsstunde der Bundesrepublik Deutschland. Das Grundgesetz, das seit der Wiedervereinigung „für das gesamte deutsche Volk“ gilt, ist zusammen mit dem es schützenden Bundesverfassungsgericht zu einer Erfolgsgeschichte geworden, die in zahlreichen Länder Nachahmung gefunden hat. Die deutschen Politiker sind sich durchweg einig: Das Grundgesetz ist die beste Verfassung, die Deutschland je hatte.

Im August 1948 erarbeitete ein von den Ministerpräsidenten berufenes Expertengremium auf der Insel Herrenchiemsee die „Richtlinien für ein Grundgesetz“. Acht Monate später, am 8. Mai 1949, nahmen die Abgeordneten des Parlamentarischen Rats das Grundgesetz mit 53 gegen 12 Stimmen an.

Am 23. Mai 1949 trat das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland in Kraft und wurde in den folgenden 60 Jahren zu einem internationalen Exportschlager. Der Begriff „Verfassung“ wurde dabei zunächst vermieden – aus Rücksicht auf das geteilte Deutschland. Der Charakter der Zwischenlösung kam u.a. in der Präambel des Grundgesetzes zum Ausdruck: „Dieses Grundgesetz verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist.“

Bundesverfassungsgericht

Das Karlsruher Bundesverfassungsgericht ist das Verfassungsgericht mit den weltweit umfangreichsten Kompetenzen. Es entscheidet nicht nur in Differenzen etwa zwischen Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat oder zwischen Bund und Ländern. Es überprüft auch Gesetze auf ihre Verfassungsmäßigkeit und es erlaubt jedermann, wegen Grundrechtsverstößen Verfassungsbeschwerde einzulegen.

Doch diese Fülle an richterlicher Macht ging immer wieder Politikern, die mitansehen mussten, dass ihre Gesetze vom Bundesverfassungsgericht „gekippt“ wurden, zu weit. Adenauer soll einmal gesagt haben: „Dat ham wir uns so nich vorjestellt“.

Die Verfassungshüter sahen sich immer wieder Angriffen aus der Politik ausgesetzt. Nicht zuletzt aufgrund seiner oft bewiesenen Standhaftigkeit hat sich dieses Gericht international einen hervorragenden Ruf erworben. Es gilt anderen Ländern als Vorbild staatlicher Organisation und es kooperiert mit den obersten Verfassungsgerichten von über 70 Staaten.

Aus aller Welt kommen Richter und Juristen nach Karlsruhe und sind beeindruckt von der bedeutendsten Verfahrensart am Gericht: der Verfassungsbeschwerde, die 1951 eingeführt wurde. Sie erlaubt den Bürger sich gegen alle „Akte der öffentlichen Gewalt“ zu wehren und unter anderem gegen Gesetze und höchstrichterliche Urteile zu klagen. Davon haben bereits über 100.000 Beschwerdeführer Gebrauch gemacht. Dazu genügt prinzipiell eine Postkarte, das Verfahren ist kostenlos.

Gegenwärtig gehen im Jahr ungefähr 5000 Verfassungsbeschwerden beim Bundesverfassungsgericht ein. Sie werden nicht nur von Strafgefangenen und Asylbewerbern, sondern auch von großen Unternehmen, Kirchen und Rundfunkveranstaltern erhoben. Manche Verfassungsbeschwerden sind kurz und handgeschrieben, andere lang und von wissenschaftlichen Gutachten begleitet. Für das Bundesverfassungsgericht bringt die große Zahl der Verfassungsbeschwerden eine erhebliche Arbeitsbelastung mit sich.Joachim Wieland, Universität Bielefeld, 19991)Joachim Wieland, Fakultät für Rechtswissenschaft, Universität Bielefeld, Forschungsmagazin, 1999, http://www.uni-bielefeld.de/presse/fomag/S22_27.pdf – abgerufen am 22.05.2009

Der Anteil der erfolgreichen Verfassungsbeschwerden liegt aber bei nur etwa drei Prozent, die Bearbeitung dauert manchmal mehrere Jahre. Um das Bundesverfassungsgericht vor Überlastung zu bewahren, wurde – ähnlich wie am Supreme Court in den USA in den achtziger Jahren – ein Annahmeverfahren für Verfassungsbeschwerden eingeführt. Zwischenzeitlich zahlen in Deutschland Beschwerdeführer, die von Anfang an hätten erkennen können, dass ihre Beschwerde unzulässig ist, eine Missbrauchsgebühr von teilweise mehreren hundert Euro. Vor Erhebung einer Verfassungsbeschwerde müssen alle vorherigen Instanzen („alle verfügbaren Rechtsbehelfe“) durchlaufen worden sein.

Das Bundesverfassungsgericht muss es nicht hinnehmen, dass es durch für Jedermann erkennbar aussichtslose Verfassungsbeschwerden behindert wird, über grundsätzliche Verfassungsfragen zu entscheiden und dadurch anderen Bürgern den ihnen zukommenden Grundrechtsschutz nur verzögert gewähren kann.23.04.2009, Bundesverfassungsgericht, Missbrauchsgebühr wegen fehlender Zulässigkeit, Aktenzeichen: 2 BvR 532/092)Bundesverfassungsgericht, http://www.bundesverfassungsgericht.de

Beim Bürgerfest in Berlin am 23. Mai 2009 wird das Bundesverfassungsgericht am Stand 17 vertreten sein.

Quellen

Quellen
1 Joachim Wieland, Fakultät für Rechtswissenschaft, Universität Bielefeld, Forschungsmagazin, 1999, http://www.uni-bielefeld.de/presse/fomag/S22_27.pdf – abgerufen am 22.05.2009
2 Bundesverfassungsgericht, http://www.bundesverfassungsgericht.de