Ostalgie
Die Verklärung der SED-Diktatur hat alarmierende Ausmaße angenommen und die Gesellschaft schaut weg. In der Würzburger Zeitung “Die Tagespost” erklärt der Direktor der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, Hubertus Knabe, warum wir mehr Aufklärung über die DDR-Vergangenheit brauchen.
Immer mehr Deutsche, aus Ost und West, glauben, dass die DDR gar nicht so schlimm gewesen sei, kritisiert Knabe. Nach zwei Jahrzehnten des Mauerfalls hätten die Menschen offenbar das Unrecht vergessen: Allgegenwärtige Überwachung, sozialistische Mangelwirtschaft, vergiftete Umwelt und ein stinkendes Plastikauto, auf das man zehn Jahre warten musste… Die Ursache für das fehlende Bewusstsein, dass die DDR ein Unrechtsstaat gewesen war, sieht der Leiter der Stasi-Gedenkstätte in der Nichtbestrafung der meisten SED-Verbrechen. Statt die SED zu verbieten und ihr Vermögen zu beschlagnahmen, durfte sie unter neuem Namen (zuerst “PDS”, dann “Die Linke”) weitermachen können. Gregor Gysi & Co. hätten Milliarden zur Seite geschafft und seien zu Medienstars avanciert. Heute stellen die Linken mit 239 Abgeordneten einen riesigen Politikapparat in Land- und Bundestag. Ehemalige Oppositionelle bleiben ohne Einfluss, da ihnen die SED die berufliche Qualifikation verwehrt hatte.
Dass bayerische Hauptschüler inzwischen besser über die DDR Bescheid wissen als Brandenburger Gymnasiasten zeigt, dass es vor allem im Osten massive Defizite bei der Wissensvermittlung gibt.Hubertus Knabe1)Hubertus Knabe, “Die Tagespost” vom 30. Juni 2009, URL: http://www.die-tagespost.de/2008/index.php?option=com_content&task=view&id=100049778&Itemid=5 – abgerufen am 2.07.2009
Der wissenschaftlicher Direktor der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen im ehemaligen zentralen Untersuchungsgefängnis der Staatssicherheit2)Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen zählt auf: In der DDR gab es über 200.000 politische Gefangene, mehr als fünfzig von ihnen wurden hingerichtet. Tausende DDR-Bürger wurden der Folter unterworfen, hunderte wurden an den Grenzen erschossen oder schwer verletzt. Was Knabe besonders empört ist das politische Kalkül von SPD-Politikern, die auf der Jagd nach Stimmen meinen, den “Ostalgikern” Honig um den Mund schmieren zu müssen. Dabei hätten doch gerade die Sozialdemokraten unter der kommunistischen Verfolgung zu leiden gehabt.
Es wird Zeit, dass das Schönreden der SED-Diktatur nicht länger verniedlicht wird. Die Demokratie ist zu zerbrechlich, als dass wir es uns erlauben könnten, den Ewiggestrigen das Feld zu überlassen.Hubertus Knabe (Ebd.)
Weiterführende Hinweise:
17. Juni – Gedenktag für die Opfer des SED-Regimes
Quellen
↑1 | Hubertus Knabe, “Die Tagespost” vom 30. Juni 2009, URL: http://www.die-tagespost.de/2008/index.php?option=com_content&task=view&id=100049778&Itemid=5 – abgerufen am 2.07.2009 |
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↑2 | Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen |
Claus Pichlo
6. Oktober 2009 @ 14:03
Aufklärungsdefizite.
Herr Knabe hat ja vollkommen Recht wenn er auf das Schlimme in der DDR hinweist. Wenn Herr Knabe aber mal in sich ginge und wenn er sich wirklich Sorgen um die Zukunft macht, dann würde er doch als allererstes fragen wie es möglich ist, dass die Menschen in den sog. neuen Ländern trotz der ständigen „Aufklärung“ wie sie Herr Knabe anbietet, trotzdem mit leichter Verklärung zurückblicken. Das muss doch Gründe haben, abgesehen davon, dass aus der Ferne alles rosiger aussieht als wenn man bis zum Hals drinsteckt.
Vielleicht ist es ja gerade die einseitige Sichtweise wie von Leuten des Schlages von Herrn Knabe, die die Menschen dazu verleitet die schlimmen Seiten auszublenden, und sich lieber den guten Seiten von einst zuzuwenden. Vieleicht haben viel zu viele von ihnen eine Veranlassung in ihrer heutigen Existens sich an die Vergangenheit zurückzuerinnern?
Denn im Gegensatz zu Herrn Knabe wissen sie ja aus eigener Erfahrung, dass auch in der DDR nicht alles mit der schwarz/weiß Schablone beurteilt werden konnte.
Herr Knabe weiß das anscheinend nicht, und darum wirken seine Vorhaltungen mit erhobenem Finger auch nicht besonders überzeugend auf unsere Brüder und Schwestern.
Vielleicht hat Herr Knabe auch einen anderen Erfahrungshorizont als der Großteil der ehemaligen DDR-Bürger?
Im Gegensatz zu Herrn Knabe wissen die ganz genau, dass nicht nur die SED-Nachfolger mit der Parteikasse über den Deister gegangen sind, sondern auch die anderen Parteien (Blockflöten) ihre gehortete Kohle in ihrem Sinne gut angelegt haben. Nämlich bei der CDU und der FDP. Pech dass die SED nicht auch Brüder im Geiste im Westen hatte (die Linken gabs ja noch nicht) wo sie ihre Schätze hätte gewinnbringend unterbringen können. Gewinnbringend meint in diesem Falle karrierefördernd.
Herr Knabe kann sich sicherlich nicht vorstellen, wie das in das Selbstbewusstsein reinhaut, wenn man mit dem dicht geflochtenen sozialen Sicherheitsnetz aus der DDR im Hinterkopf nun mit Agenda 2010 und Harz IV konfrontiert ist. Wenn man die heiß ersehnte Demokratie als neoliberalen Albtraum kennen lernt. Wenn man sich plötzlich als Bettler an der „Tafel“ wiederfindet.
Ob Herr Knabe den Unterschied wohl kennt, zwischen dem sehnlichen Wunsch eines Ex-DDR-Bürgers nach uneingeschränktem Reisen und dem Zwang als junger Mensch in den sog. neuen Ländern die geliebte Heimat wohl für immer verlassen zu müssen um einem Job im Ausland hinterherzulaufen?
Könnte es sein, dass das Aufklärungsdefizit eher auf der Seite von Herrn Knabe zu finden ist?
C. Pichlo, kein ehemaliger DDR-Bürger, auch kein Wessi.