Schlesischer Nobelpreisträger Günter Blobel
Am 11. Oktober 1999 teilte die Nobelversammlung am Karolinischen Institut von Stockholm in einer Pressemitteilung die Verleihung des Nobelpreis des Jahres 1999 in Physiologie oder Medizin an den gebürtigen Niederschlesier Günter Blobel mit. Günter Blobel erhält den mit rund 1,8 Mio Mark dotierten Preis für die Entdeckung: „Proteine haben eingebaute Signale, die ihren Transport und die Lokalisierung in der Zelle steuern“. In einer Lebensschilderung für die Nobelversammlung schildert der Heimatvertriebene Günter Blobel auch Erinnerungen an schreckliche Erlebnisse zum Ende des Zweiten Weltkriegs, die er aus der Perspektive eines Kindes erlebt hatte.
Günter Blobel wurde am 21. Mai 1936 in Waltersdorf, Kreis Sprottau in Niederschlesien, als jüngstes von sieben Kindern, geboren. 1945 floh die Familie vor den Schrecken des Krieges in ein kleines Dorf in Sachsen, ca. 40 km von Dresden entfernt. Später zogen sie nach Freiberg bei Dresden um. Günter Blobel durfte in der DDR, in der er noch sein Abitur absolvierte, nicht studieren. So ging er in die BRD, um in Frankfurt am Main das Medizinstudium beginnen zu können. In Tübingen machte er schließlich 1960 sein Examen. 1962 wanderte Blobel in die USA aus, wo er mit dem Chemiestudium begann und 1967 an der Universität in Wisconsin, in Onkologie promovierte.
Seine wissenschaftliche Forschungsarbeit an der Rockefeller-Universität von New York begann er 1974 als Assistent des Nobelpreisträgers Dr. Palade.
Nun selbst Nobelpreisträger, fasst Günter Blobel in einer Autobiografie für das Nobelpreis-Komittee u.a. seine Eindrücke zum Ende des Zweiten Weltkrieges zusammen:
1945 war ein Wendepunkt in meinem Leben. Bis dahin war meine Kindheit eine richtige „19. Jh. – Idylle“ gewesen. In den kalten und schneereichen schlesischen Winter gab es Sonntags stundelange Fahrten auf Pferdeschlitten zum Bauernhof meiner Großeltern mütterlicherseits, wo wir zu Mittag aßen und den Nachmittag verbrachten. Das Haus war ein herrliches Gutshaus aus dem 18. Jh. in Altgabel mit einem großen Saal, der mit Jagdtrophäen ausstaffiert war. Im Sommer wurden von Pferden gezogene Landauer als Transportmittel benützt. Der Weg zur Schule dauerte sehr lange. Wir liefen zu Fuß dorthin, in einer Gruppe, die aus einem oder zwei von meinen sieben Brüdern und Schwestern und von Kindern aus den Nachbarhäusern bestand.
Ende Januar 1945 mussten wir vor der anrückenden russischen Roten Armee fliehen. Mein Vater, ein Tierarzt, blieb noch ein paar Tage zurück und ging erst kurz bevor die Rote Armee kam. Mein vierzehn Jahre alter Bruder Reiner fuhr meine Mutter, meinen jüngsten Bruder, einen älteren Bruder, die zwei jüngeren Schwestern und mich in einem kleinen Auto zu Verwandten in Dresden in Sachsen. Auf dem Weg dorthin fuhren wir durch Dresden. Wir fuhren von den östlichen Hügeln in die Stadt hinein. Die Frauenkirche mit ihrer herrlichen Kuppel und den zahlreichen Türmen war ein großartiger Anblick selbst für das ungeübte Auge eines Kindes. Wenn ich durch Dresden fahre, erinnere ich mich immer noch der vielen Plätze, die in erfreulicher Weise mit Cherubinen und anderen Symbolen des Barocks dekoriert waren. Diese Stadt machte einen unauslöschlichen Eindruck auf mich. Nur ein paar Tage später, am 13. Februar 1945 sahen wir von einer Entfernung von etwa 30 Kilometern einen flammenerleuchteten, roten Nachthimmel, der den rasenden Feuersturm reflektierte, der dieses Juwel einer Stadt in einer der katastrophalsten Bombenangriffe des Zweiten Weltkriegs zerstörte. Dies war ein sehr trauriger und unvergesslicher Tag für mich.
Die Monate vor und nach Ende des Zweiten Weltkriegs waren chaotisch und elend. Keiner meiner Verwandten hatte genug Platz um unsere große Familie unterzubringen und so blieben wir verteilt bei verschiedene Verwandten in verschiedenen Dörfern. Es gab keine Verbindung und nur wenig Essen. Am 9. September 1945 erfuhren wir von dem Tod meiner schönen, älteren Schwester Ruth, 19 Jahre alt, die bei einem Luftangriff auf eine Zug, in dem sie am 10. April 1945 fuhr, ums Leben kam. Sie wurde in einem Massengrab in der Nähe der Angriffsstelle in Schwandorf/Bayern beerdigt. Ruth wurde geboren, als meine Mutter gerade 20 Jahre alt war. Die beiden hatten ein schwesterliches Verhältnis gehabt. Meine Mutter trauerte über ihren Tod bis zum Ende ihres eigenen Lebens.
Günter Blobel, Autobiographie1)Günter Blobel, Autobiographie – Nichtauthorisierte Übersetzung durch Potsblits