Zahlenrevisionisten
Vor über fünf Jahren hatte der Bund der Vertriebenen die Journalistin Gabriele Lesser wegen Falschbehauptungen auf Unterlassung verklagt, nun hat sich die studierte Historikerin Ende letzten Monats wieder zurück gemeldet: Sie wirft dem BdV “überhöhten Opferzahlen” vor. Das Statistische Bundesamt habe 1958 einen Fehler gemacht, wie zwischenzeitlich der Militärhistoriker Rüdiger Overmans und der Zeithistoriker Ingo Haar nachgewiesen hätten. Parallel hierzu wird in Polen momentan eine “möglichst vollständige” Datenbank von polnischen Opfern des NS-Regime eingerichtet.
Der Vorwurf von Gabriele Lesser1)Gabriele Lesser: 70 Jahre nach Kriegsbeginn suchen Wissenschaftler nach den Fakten, URL: http://www.maerkischeallgemeine.de/cms/beitrag/11594248/492531/Jahre-nach-Kriegsbeginn-suchen-Wissenschaftler-nach-den-Fakten.html – abgerufen am 3.09.2009 dürfte wohl obsolet sein. Bereits im November 2006 hatte der Bund der Vertriebenen klargestellt, dass der Historiker Ingo Haar bei seiner Statistik lediglich “die unmittelbar Ermordeten” berücksichtigt habe. Das bestätige auch eindeutig ein Bericht des Bundesarchivs aus dem Jahr 1974. D.h. die Todesopfer z.B. infolge von unmenschlicher Zwangsarbeit, Deportation in Viehwaggons oder von Vergewaltigungen, gezielter Mangelernährung in Internierungslagern und durch Erschöpfung nach tage- oder wochenlangen Märschen ignoriere Haar vollkommen.
Doch auch in der Erhebung des Statistischen Bundesamts von 1958, die von einer Gesamtopferzahl von 2.225.000 ausgeht, wurden allerdings noch gar nicht die Vertriebenen berücksichtigt, die unmittelbar nach Ankunft in West- und Mitteldeutschland an den Vertreibungsfolgen gestorben sind. Ebenso wenig die über 300.000 Todesopfer der deportierten Russlanddeutschen.
Wie auch immer, der Kirchliche Suchdienst hatte 1995 die Ergebnisse des Statistischen Bundesamtes, die in dem Buch “Die deutschen Vertreibungsverluste, Wiesbaden 1958” veröffentlicht wurden, weitgehend bestätigt.2)Kirchlicher Suchdienst, URL: http://www.kirchlicher-suchdienst.de – abgerufen am 3.09.2009
Das Land Polen hat die statistische Arbeit der Erfassung seiner Opfer der NS- und Sowjet-Regimes erst im Jahre 2006 begonnen. Das Programm “Polnische Staatsbürger – Opfer und Verfolgte unter der deutschen Besatzung” erklärt hierzu auf seiner Internetseite:
Eigentlich hätte dies schon lange in die Wege geleitet werden müssen, einen Anstoß dazu gab es jedoch bisher weder zu Zeiten der kommunistischen Diktatur, noch im freien Polen nach 1989. Das hier vorgestellte Programm möchte statt ungefährer Schätzungen den Versuch unternehmen, präzise Erhebungen anhand persönlicher Zeugenberichte zu erstellen. Auf diese Art und Weise bleiben die Opfer nicht mehr eine anonyme Ziffer, sondern bekommen ein Gesicht und ihr persönliches Schicksal rückt ins Bewusstsein.www.straty.pl 3)http://www.straty.pl/index.php?option=com_content&view=article&id=46&Itemid=55&lang=de – abgerufen am 3.09.2009
Dariusz Pawlos, der Vorsitzende des Vorstandes der Stiftung “Polnisch-Deutsche Aussöhnung”, erklärt zu diesem vom staatlichen Institut für Nationales Gedenken (IPN) und dem Ministerium für Kultur und Nationalerbe der Republik Polen ins Leben gerufene Projekt:
Die vollständige Auszählung der polnischen Staatsbürger, die Opfer des NS-Regimes sind, ist für uns eine Sache oberster Priorität. Ohne Ihre Hilfe wird uns das jedoch nicht möglich sein. Nehmen Sie teil an diesem für das Gedenken an unsere Nachkommen und geschichtswissenschaftlich enorm bedeutenden Projekt und teilen Sie die Ihnen zugänglichen Informationen mit uns und der Gesellschaft.Stiftung Polnisch-Deutsche Aussöhnung4)Stiftung Polnisch-Deutsche Aussöhnung, URL: http://www.fpnp.pl/index_de.php – abgerufen am 3.09.2009
Die vor 17 Jahren im Rahmen deutscher Entschädigungszahlungen an polnische NS-Opfer gegründete Stiftung “Polnisch-Deutsche Aussöhnung” bemüht sich um die “Auszahlung von finanziellen Leistungen aus Deutschland an ehemalige Häftlinge der Konzentrationslager und Zwangsarbeiter des Dritten Reichs, Unterstützung der Opfer des Nationalsozialismus, sowie das Bewahren der Erinnerung und die Annährung zwischen Polen und Deutschen”.
Weiterführende Hinweise:
„Haar“ – sträubende Zahlenklitterung
Quellen
↑1 | Gabriele Lesser: 70 Jahre nach Kriegsbeginn suchen Wissenschaftler nach den Fakten, URL: http://www.maerkischeallgemeine.de/cms/beitrag/11594248/492531/Jahre-nach-Kriegsbeginn-suchen-Wissenschaftler-nach-den-Fakten.html – abgerufen am 3.09.2009 |
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↑2 | Kirchlicher Suchdienst, URL: http://www.kirchlicher-suchdienst.de – abgerufen am 3.09.2009 |
↑3 | http://www.straty.pl/index.php?option=com_content&view=article&id=46&Itemid=55&lang=de – abgerufen am 3.09.2009 |
↑4 | Stiftung Polnisch-Deutsche Aussöhnung, URL: http://www.fpnp.pl/index_de.php – abgerufen am 3.09.2009 |