Forum › Potsdamer Konferenz › Geschichte › "Westverschiebung" Polens?
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7. März 2012 um 18:15 Uhr #2870Kautschuk
Auf der Insel Usedom hat offenbar eine dreitägige Veranstaltung zum deutsch-polnischen Verhältnis statt gefunden.
Der Warschauer Historiker Prof. Kazimierz Wóycicki unterstrich, dass die Konferenzen von Jalta und Potsdam im Jahre 1945 in Polen bis heute als Verrat interpretiert werden. Die Westalliierten akzeptierten Stalins Drang nach Westen, nahmen die Westverschiebung und Degradierung Polens, des ersten Kriegsopfers Deutschlands, zum sowjetischen Vasallenstaat in Kauf. Die Vertreibung von Millionen Deutschen und Polen war die Konsequenz. Mochten Briten und Amerikaner die Übergabe der Gebiete östlich der Oder an Polen auch als faire Kompensation interpretieren, so ging vor allem Stalins Rechnung auf: Durch ein größeres und kommunistisches Polen schob er seinen direkten Machtbereich bis zur Oder vor.
http://www.usedom-exclusiv.de/174/2012-0227/golm-grenzziehung1945.html#Zu diesen Aussagen ist einiges anzumerken:
1. Den Verrat, den offenbar diverse Polen mit “Jalta” und “Potsdam” in Verbindung bringen bezieht sich auf die sog. “Curzon-Linie”, also die Ostgrenze Polens, wie wir sie in etwa heute haben. Zunächst ist einmal zu sagen, dass Polen keinerlei völkerrechtlichen Anspruch auf das sog. “Ostpolen” (das heutige Litauen, Ukraine, Weißrussland) hatte. Polen hatte sich dieses Territorium in der Zwischenkriegszeit zw. 1. und 2. WK völkerrechtswidrig in einem Angriffskrieg angeeignet. Pilsudski wollte nicht die damaligen Alliierten (z.B. Lord Curzon, England) entscheiden lassen, wie die polnische Ostgrenze zu verlaufen hat. Deshalb schuf er kurzerhand, als die Zeit passend dafür war, vollendete Tatsachen. Ähnlich wie es später Hitler tat, ähnlich, wie es später Stalin tat…
2. Vor allem England wusste, dass es Polen als Verrat empfinden würde, wenn sie Stalin (den die Westalliierten ja noch benötigten) einfach so im Osten Polens gewähren ließen… (nach dem Zweiten Weltkrieg spielte die Curzon-Linie zumindest bei Churchill offenbar keine Rolle mehr). Desalb kungelte vor allem Churchill mit Stalin, so wie es Hitler auch mal mit Stalin getan hatte… Diesmal entstand dabei der “Churchill-Stalin-Pakt”, der besser als “Westverschiebung Polens” bekannt ist. Gemeinsam mit dem Hitler-Stalin-Pakt hat dieser Nachkriegspakt, dass wieder einmal über die Köpfe der betroffenen Bevölkerungen hinweg völkerrechtswidrig Grenzen verschoben wurden und menschenrechtswidrig (Zwangs-) Umsiedlungen einkalkuliert wurden. Dass Stalin ein Verbrecher war, ist zumindest im Westen nicht umstritten. Dass aber auch Churchill in diesem Punkt kein kleinerer Verbrecher als Hitler war, das schmeckt dahingegen wohl den wenigsten Historikern.
3. Prof. Kazimierz Wóycicki soll mal nicht so tun, wie wenn Polen unschuldig bei der Westverschiebung Polens, die im Grunde genommen eine westliche Expansion Polens darstellte, gewesen ist. Hatte Polen nicht bereits in der Zwischenkriegszeit gewaltsam Ambitionen auf (Ober-) Schlesien deutlich gemacht, und damit sogar beim Papiertiger “Völkerbund” (Vorgängerorganisation der UNO) Erfolge verbucht?
4. “Vertreibung der Deutschen und Polen” sei die Konsequenz gewesen… Prof. Kazimierz Wóycicki vergleicht da Äpfel mit Birnen. Die sog. “Ostpolen” wurden größtenteils nämlich nicht vertrieben, sondern in ähnlicher Weise umgesiedelt, wie Hitler die sog. “Volksdeutschen” ins Wartheland bzw. “Generalgouvernement” (zwangs-)umgesiedelt hatte. Die Absichten waren in beiden Fällen ähnlich: Hitler wollte Polen germanisieren und bei der Umsiedlung der Ostpolen, die sämtliches Vieh und Hausrat mitnehmen durften, ging es vor allem darum, das historische Ostdeutschland zu polonisieren. Den heimatvertriebenen Ostdeutschen raubte dahingegen die polnische Miliz nocht die letzten Wertgegenstände vom Leib…
5. Ein Verrat stellen die politischen Gräueltaten mit Ende des Krieges vor allem gegenüber dem Völkerrecht und den Menschenrechten dar. Dieser Verrat besteht solange fort, wie vor allem Deutschland und Polen nicht gemeinsame Wege finden, das himmelschreiende Unrecht gegenüber den deutschen Heimatvertriebenen in gerechter Weise aufzuarbeiten.
10. März 2012 um 09:08 Uhr #3539RichardPolen hatte sich dieses Territorium in der Zwischenkriegszeit zw. 1. und 2. WK völkerrechtswidrig in einem Angriffskrieg angeeignet.
Du hast Recht, leider wird das von den Historikern verschwiegen. Statt dessen wird gebetsmühlenartig das Unrecht der Teilungen Polens (in den Jahren 1772, 1793 und 1795) betont. Wie wenn Polen aufgrund dieses Unrechts einen moralischen (von einem rechtlichen ganz zu schweigen) Anspruch gehabt hätte, rund 120 bis 150 später gewaltsam zu versuchen, das Rad der Geschichte zurückzudrehen…
12. März 2012 um 16:12 Uhr #3543Human Rights…das Unrecht der Teilungen Polens (in den Jahren 1772, 1793 und 1795)…
Es war auch Unrecht, dass 1569 der Polenkönig unter Bruch bestehender Verträge den westlichen Teil des preußischen Ordensstaates (“Königliches Preußen”, das spätere Westpreußen) dem neuen polnisch-litauischen Staatenverband einverleibte.
Durch die Union von Lublin 1569 verschmolzen das Königreich Polen und das Großfürstentum Litauen zur Realunion Polen-Litauen, auch als Erste Rzeczpospolita bezeichnet. Mit dem bilateralen Einigungsprozess einher ging ein Versuch, das autonome Preußen Königlichen Anteils durch eine Art Staatsstreich in eine Provinz des polnischen Reichs umzuwandeln.
Wikipedia: Autonomer Teil der Adelsrepublik Polen-Litauen13. März 2012 um 09:28 Uhr #3545FrodoWie wenn Polen aufgrund dieses Unrechts einen moralischen (von einem rechtlichen ganz zu schweigen) Anspruch gehabt hätte, rund 120 bis 150 später gewaltsam zu versuchen, das Rad der Geschichte zurückzudrehen…
Gibt es dazu wissenschaftliche Untersuchungen? Insbesondere würde mich auch interessieren, inwiefern dieses gewaltsame Streben nach einem “Großpolen” nach Ende des 1. WK, als Polen wieder auf die europäische Landkarte zurückkehrte, den “Hitler-Stalin-Pakt” (mit) beeinflusst haben könnte…
13. März 2012 um 19:47 Uhr #3547RichardNun, der deutsche Historiker Manfred Alexander spricht von einer “chauvinistische Polonisierung der Minderheiten” im Osten – insbesondere der Ukrainer und Weißrussen (vgl. Alexander, Manfred: Kleine Geschichte Polens, Stuttgart 2003, 301f.). Diese wehrten sich und es kam zu einer Welle der Gewalt, die 1931/32 ihren Höhepunkt erreichte. 1929 war eine „Organisation Ukrainischer Nationalisten“ gegründet worden, die für eine Beseitigung der polnischen Herrschaft arbeitete.
Die Polonisierungspolitik verschärfte sich nach dem Tode Pilsudskis 1935 noch mehr: Ukrainer wurden aus dem Staatsdienst entfernt, orthodoxe Kirchen gesprengt. Nach der sowjetischen Propaganda sei die Rote Armee 1939 „jubelnd empfangen worden“, weil sie das Joch der polnischen „Herren“ abschüttele. (Bei der Evakuierung der Ostpolen taucht dieses Stereotyp dann wieder auf – von Seiten der polnischen Kommunisten!)14. März 2012 um 06:23 Uhr #3550FrodoPolnischen Chauvinismus gab es nicht nur im Osten. In Warschau wurde die orthodoxe Alexander-Newski-Kathedrale talibanartig abgerissen, obwohl sie von hohem künstlerischen Wert war.
Am 20. Mai 1912 wurde die Kathedrale eingeweiht, aber nach der Restauration des unabhängigen Polens zwischen 1924 und 1926 als Symbol des Versuches der Russifizierung des Landes abgerissen. Wikipedia: Alexander-Newski-Kathedrale
16. März 2012 um 13:59 Uhr #3552RichardChurchill schreibt in seinen Memoiren:
Dann regte ich eine Aussprache über Polen an. Stalin willigte ein und forderte mich auf zu beginnen. Ich sagte, wir seien Polens halber in den Krieg getreten. Daher bedeute uns Polen sehr viel. Nichts sei aber wichtiger als eine gesicherte russische Westgrenze. Doch sei ich bezüglich der Grenzen keine Verpflichtungen eingegangen. Ich bäte daher um eine absolut offene Aussprache darüber. Wenn uns der Marschall sagen wolle, wie er über die Sache denke, könnten wir sie diskutieren und zu einem Einvernehmen kommen; er möge mir sagen, was er für die Verteidigung der russischen Westgrenze für erforderlich halte. Russland werde aus diesem vielleicht im nächsten Jahr endenden europäischen Krieg überwältigend stark hervorgehen und trage bei allen seinen Polen betreffenden Beschlüsse eine schwere Verantwortung. Ich für meinen Teil glaube, Polen könnte sich nach Westen verlagern, wie Soldaten, die seitlich wegtreten. Falls es dabei auf einige deutsche Zehen trete, könne man das nicht ändern; doch müsse Polen auf alle Fälle stark sein. Polen bilde eine im europäischen Konzert nötige Stimme.
Stalin erwiderte, die Polen seien ein Volk mit eigener Sprache und Kultur, das nicht ausgerottet werden könne. Es müsse bestehen bleiben.
“Wollen wir eine Grenzziehung versuchen?” fragte ich.
“Ja.”
“Ich habe keine Vollmacht vom Parlament, und meines Wissens hat auch Präsident Roosevelt keine, irgendwelche Grenzlinien zu vereinbaren. Doch könnten hier in Teheran die drei Regierungschefs im gegenseitigen Einvernehmen versuchen, eine Grundlage zu finden, die wir dann den Polen vorlegen und zur Annahme empfehlen können.”
Wir waren uns also einig, dass Problem zu prüfen. Stalin fragte noch, ob es ohne polnische Beteiligung geschehen solle, was ich bejahend beantwortete. Falls wir uns inoffiziell einigten, könnten wir später an die Polen herantreten. Eden warf hier ein, die am Nachmittag von Stalin gemachte Bemerkung, Polen könnte im Westen bis an die Oder vorrücken, sei ihm aufgefallen. Dieser Gedanke scheine ihm aussichtsreich und habe ihn sehr ermutigt. Stalin fragte, ob wir gedacht hätten, dass er Polen schlucken wolle. Eden erwiderte, wir wüssten nicht, was Russland alles zu verspeisen gedenke. Wieviel würde es unverspeist lassen? Stalin erklärte, die Russen wollten nichts, was anderen Völkern gehöre, nur aus Deutschland würden sie sich vielleicht auch einen Brocken herausschneiden. Eden meinte, was Polen im Osten verliere, könne es im Westen gewinnen. Stalin erwiderte, das sei möglich; er wisse es aber nicht. Ich demonstrierte dann mit Hilfe dreier Streichhölzer meine Gedanken über eine Westverlagerung Polens. Das gefiel Stalin, und damit löste sich unsere Gruppe für den Moment auf.Churchill Memoiren, Fünfter Band, Zweites Buch, Von Teheran bis Rom, 49f.
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