Forum › Potsdamer Konferenz › Recht › Fachtagung an der FU Berlin
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20. Februar 2012 um 10:18 Uhr #2869Frodo
Am 17./18. Februar 2012 fand in Berlin an der Freien Universität, finanziert vor allem durch Steuergelder, eine Fachtagung zu dem Thema “Vertreibung der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg und Völkerrecht” statt. Die offizielle Einladung der Freien Universtität Berlin zu dieser Veranstaltung trug die Überschrift “War die ‘Vertreibung’ Unrecht?” – Die in Anführungszeichen gesetzte “Vertreibung” lässt bereits den Duktus der Veranstaltung erkennen.
Die Konferenz wurde von Christoph Koch, Professor für Indogermanistik an der Freien Universität Berlin, organisiert.
Mitveranstalter waren diese Vereine:
- Aktion Sühnezeichen Friedensdienste e. V.
Berlin-Brandenburgische Auslandsgesellschaft e. V.
Deutsch-Polnische Akademische Gesellschaft e. V.
Deutsch-Polnische Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland e. V.
Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten e. V.Vgl. http://www.fu-berlin.de/presse/informationen/fup/2012/fup_12_024
Der Verein VVN/BdA wird vom Verfassungsschutz beobachtet. D.h. die VVN/BdA ist als extremistisch einzustufen, vor allem weil sie Unrecht von sozialistischer/kommunistischer Seite massiv relativiert.
Natürlich erhält die Veranstaltung in Berlin ein besonderes “Geschmäckle”, wenn sie einer solchen fragwürdigen Organisation eine – durch Steuergelder mitfinanzierte – Plattform bietet.Das komplette Programm der Veranstaltung ist auch auf der Internetseite der “Deutsch-Polnische Akademische Gesellschaft” zu finden: http://www.dp-ag.org/de/?p=203
Gemäß “neues deutschland” (Sozialistische Tageszeitung) resümierte Professor Koch, dass die Deutschen sich selbst vertrieben hätten. Das vorangegangene Verbrechen (von deutscher Seite) lasse “ein folgendes in einem anderen Licht erscheinen”.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/218961.kein-verbrechen-rechtfertigt-ein-neues.htmlMit solchen Aussagen rechnet Professor Koch Unrecht (von deutscher Seite) gegen Unrecht (gegenüber Deutschen) auf und relativiert letzteres. Lassen die Verbrechen der Vorkriegs- bzw. Zwischenkriegszeit die Verbrechen von Hitler & Co. etwa auch in einem anderen Licht erscheinen? Aus der Perspektive von Professor Koch sicherlich nicht. Deshalb ist seine Sicht auf die historischen Dinge einseitig, relativierend und ggf. sogar rassistisch motiviert.
Ein Lichtblick der Veranstaltung muss der Völkerrechtler Thilo Marauhn (Universität Gießen) gewesen sein, da seine Ausführungen bei der Zuhörerschaft auf Unverständnis gestoßen seien.
Der Völkerrechtler Thilo Marauhn stieß mit seiner Position, dass die Vertreibung, die die Potsdamer Beschlüsse anordneten, völkerrechtswidrig gewesen sei, auf Unverständnis. Marauhn berief sich auf Grundsätze der Humanität, die jenseits von Kriegsrecht immer gelten, und forderte, zwischen Mensch und Staat zu trennen – im Sinne derer, die am stärksten unter Kriegen leiden.
(neues deutschland)Die Juristin Herta Däubler-Gmelin (ehemalige Bundesjustizministerin) relativierte dann auch gleich ein mögliches “Menschenrecht auf Heimat”.
21. Februar 2012 um 09:51 Uhr #2937RichardHallo Frodo, das wäre sicherlich eine spannende Veranstaltung gewesen. Vor allem der Vortrag von Bozena Gorczynska-Przybylowicz (Universität Posen) hätte mich interessiert. Der Titel lautete: “Die Aussiedlung der deutschen Bevölkerung aus Polen als Folge des Zweiten Weltkriegs” – Was für eine Scherzkeksin… noch dazu eine ziemlich harte: “Aussiedlung” statt “Vertreibung”, “aus Polen” statt “aus ihrer ostdeutschen Heimat” und das Ganze noch “als Folge des Zweiten Weltkriegs”, wo doch Polen bereits nach dem Ersten Weltkrieg massiv das Ziel der Annexion von (Ober-) Schlesien etc. vorangetrieben hatte und die ersten Internierungslager auf europäischem Boden für die betroffene (deutsche) Bevölkerung einrichtete…
Würde mich interessieren, ob es diesen Vortrag irgendwo im Internet abrufbar gibt.22. Februar 2012 um 07:49 Uhr #2938RichardDer Historiker Stefan Scheil hat auf “Junge Freiheit” einen klugen Kommentar zu dieser Veranstaltung hinterlassen. Besonders gefällt mir diese Passage, weil er damit bereits die Überschrift der Tagung ad absurdum führt:
Enteignung, Entwurzelung und Vertreibung ohne individuelle Schuld, rein nach ethnischer Zugehörigkeit, dazu die allgegenwärtigen Begleiterscheinungen wie Mißhandlung, Vergewaltigung, Mord und Totschlag, Diebstahl, Grabschändung, jahrelange Ausbeutung durch Zwangsarbeit vor der Ausweisung und anderes mehr, kann das wirklich Unrecht gewesen sein? Man wird doch wohl noch fragen dürfen.
http://www.jungefreiheit.de/Single-News-Display-mit-Komm.154+M501ea7b3e83.0.html?PHPSESSID=345084309457d65b16592e6b76a15712Übrigens: Mir fällt auf, dass in Verbindung mit der Potsdamer Konferenz immer wieder von “Umsiedlungsbeschlüssen” gesprochen wird. Die Potsdamer Konferenz hatte keine Umsiedlung beschlossen, sondern ein Vertreibungsmoratorium gefordert!
17. März 2012 um 07:28 Uhr #2941Kautschuk@Richard wrote:
Übrigens: Mir fällt auf, dass in Verbindung mit der Potsdamer Konferenz immer wieder von “Umsiedlungsbeschlüssen” gesprochen wird. Die Potsdamer Konferenz hatte keine Umsiedlung beschlossen, sondern ein Vertreibungsmoratorium gefordert!
Hallo Richard, Du nimmst sicherlich Bezug auf folgenden Abschnitt der Potsdamer Konferenz:
Die tschechoslowakische Regierung, die Polnische Provisorische Regierung und der Alliierte Kontrollrat in Ungarn werden gleichzeitig von obigem in Kenntnis gesetzt und ersucht werden, inzwischen weitere Ausweisungen der deutschen Bevölkerung einzustellen, bis die betroffenen Regierungen die Berichte ihrer Vertreter an den Kontrollausschuss geprüft haben. https://potsdamer-konferenz.de/dokumente/potsdamer-protokoll#IX
Allerdings steht ein paar Zeilen weiter oben tatsächlich, dass “die drei Regierungen erkennen an, dass die Überführung der deutschen Bevölkerung oder Bestandteile derselben, die in Polen, Tschechoslowakei und Ungarn zurückgeblieben sind, nach Deutschland durchgeführt werden muss. Sie stimmen darin überein, dass jede derartige Überführung, die stattfinden wird, in ordnungsgemäßer und humaner Weise erfolgen soll”.
Völkerrechtlich betrachtet waren die Oder-Neiße-Gebiete nach der Potsdamer Konferenz definitiv noch deutsch. Zumindest den Westalllierten muss dieser Sachverhalt klar gewesen sein. Aus ihrer Perspektive muss also bei der “Umsiedlungsfrage” mit “Polen” das Vorkriegspolen (ohne Oder-Neiße-Gebiete) gemeint gewesen sein. Das deckt sich auch mit der ablehnenden Haltung vor allem Churchills gegenüber einer “Überfütterung der polnischen Gans mit deutschem Territorium”. Tatsache ist aber auch, dass Stalin maßgeblich der Potsdamer Konferenz seinen Stempel aufdrückte. So hat sich letztlich auch in strittigen Punkten seine Interpretation der Konferenztexte durchgesetzt.
Noch einmal: Aus westlich-demokratischer Perspektive war es klar, dass drei großköpfige Politiker nicht über die Grenzen und die Bevölkerung anderer Länder entscheiden konnten.
19. März 2012 um 10:59 Uhr #2942Frodo@Kautschuk wrote:
Völkerrechtlich betrachtet waren die Oder-Neiße-Gebiete nach der Potsdamer Konferenz definitiv noch deutsch. Zumindest den Westalllierten muss dieser Sachverhalt klar gewesen sein. Aus ihrer Perspektive muss also bei der “Umsiedlungsfrage” mit “Polen” das Vorkriegspolen (ohne Oder-Neiße-Gebiete) gemeint gewesen sein.
Stimmt! Auf http://potsblits.de/deutschland-in-grenzen-von-1937 zitiert Potsblits den damaligen deutschen Bundeskanzler, Konrad Adenauer, der 1950 (!) genau dieses Sichtweise unterstreicht. Nach den Erklärungen der Alliierten habe Deutschland nicht aufgehört, als Staat in den Grenzen von 1937 zu existieren. Auf der Potsdamer Konferenz und gemäß anderer alliierten Erklärungen könne der Gebietsbestand Deutschlands nur durch einen Friedensvertrag geändert werden. Bis zu diesem Zeitpunkt dürften keine vollendete Tatsachen geschaffen werden…
Stalin und Polen sahen das natürlich anders. Wer noch heute rückblickend – wider besseren Wissens – deren Perspektive teilt, stellt sich selbst außerhalb der westlich-demokratischen Gesellschaft.
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