Forum › Re:Kindheit hinter Stacheldraht
Unter dem Titel “Kindheit hinter Stacheldraht” geht Guido Knopp von ZDF History der Frage nach: “Warum starben 7000 deutsche Kinder in dänischen Lagern?” Ich habe diese Frage dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. (Landesverband Schleswig-Holstein) gestellt und erhielt folgende Antwort:
Die von Kirsten Lyllof vor einigen Jahren gerade auch in der dänischen Öffentlichkeit publizierte Frage nach dem Tod der deutschen Flüchtlingskinder ist uns selbstverständlich bekannt. Unbestritten ist nach meiner Kenntnis auch, dass es tatsächlich in vielen Fällen so war, dass sich dänische Ärzte geweigert haben, Flüchtlinge zu behandeln.
Vor diesem Hintergrund ist es auch aus unserer Sicht gut und wichtig, diese lange nicht diskutierte Frage zu stellen und offen über die Geschehnisse in den Flüchtlingslagern zu reden.
Klar ist dabei aber auch, dass es sich in vielen Fällen um sehr persönliche Erfahrungen handelt, die teils positiv, teils aber auch sehr negativ ausfielen.
Die von uns angeführten “Anstrengungen” der Dänen für eine bedarfsgerechte Versorgung der Flüchtlinge konnten erst wirklich greifen, nachdem im Herbst 1945 die Flüchtlingsverwaltung aufgebaut wurde. Dies geschah, als klar war, dass man die Flüchtlinge nicht so schnell nach Deutschland würde zurück bringen können.
Dass gerade in den Monaten zuvor sicher viele Dinge geschehen sind, die wir heute verurteilen, lässt sich wahrscheinlich nur aus der Zeit heraus bewerten.
Man muss dabei sicher berücksichtigen, dass Dänemark nach fünfjähriger Besatzungszeit durch die im Land befindlichen Flüchtlinge quasi eine “zweite Besatzung” erlebte, zumindest wurde dies vielfach so empfunden.
Außerdem ist selbst aus heutiger Sicht die Aufgabe, ca. 250.00 Flüchtlinge aufzunehmen und zu versorgen sicher eine sehr schwierige und das für ein Volk von damals etwa 4 Millionen Einwohnern.
Die Problematik wird auch durch einige Zahlen deutlich, die ich gerne nennen will. So starben von insgesamt 7859 Kindern, die vor dem 01.02.1946 in Dänemark ums Leben kamen, 4132 im Zeitraum 01.01.-05.05.1945, also noch vor Kriegsende, als die Deutschen noch Besatzungsmacht waren und somit auch für die Aufnahme und Betreuung der Flüchtlinge “zuständig”. Die Zahlen nahmen dann sehr schnell ab (vom 06.05-30.06. waren es 2408 Tote, zwischen dem 01.07. und dem 30.09. noch 767, vom 01.10.-31.12. 439 und im Januar 1946 113 Kinder, die starben) Diese Zahlen sollen nichts beschönigen, machen aber schon deutlich, dass sich die Verhältnisse besserten, was letztlich auf die genannten Bemühungen der dänischen Flüchtlingsverwaltung zurückzuführen ist, die zumindest eine ordentliche Versorgung der Flüchtlinge zu gewährleisten versuchte. Diese Versorgung war ganz sicher in den meisten Fällen besser, als die Versorgung von Flüchtlingen in Deutschland.
Natürlich war es mit zunehmender Zeit eine besondere Belastung, in den Flüchtlingslagern eingesperrt zu sein. Hinzu kam die mangelnde Information über Schicksale von Angehörigen und die für viele ungewisse Zukunft.
Trotzdem denke ich, dass man den Dänen das Bemühen zumindest um eine vernünftige Versorgung der ungeliebten “Gäste” nicht absprechen kann, ohne dadurch die von Frau Lyllof sicher zu recht aufgeworfenen Fragen zu vernachlässigen.
Ich denke, dass es wie in vielen Bereichen der Geschichte auch hier verschiedene Aspekte zu berücksichtigen gilt, die nur im Rahmen einer offenen und öffentlichen Diskussion zu einer Aufarbeitung führen können.
Soweit eine kurze Stellungnahme meinerseits zu Ihrer Frage, die sicher nicht umfassend sein kann, aber hoffentlich deutlich macht, dass auch dieser Teil unserer Geschichte nicht ganz einfach ist. Für weitere Informationen zum Thema kann ich Ihnen u.a. folgende Bücher empfehlen, die sich intensiv mit der Thematik auseinandersetzen.
1. Henrik Havrehed, “Die deutschen Flüchtlinge in Dänemark 1945-1949”, Verlag Boyens&Co., Heide, 1987
2. Knud Langberg, “Flüchtlingsleben in Dnemark”, Evangelisches Verlagswerk GmbH, Stuttgart, 1951
3. Karl-Georg Mix, “Deutsche Flüchtlinge in Dänemark 1945-1949”, Historische Mitteilungen im Auftrage der Ranke-Gesellschaft Band 59, Franz Steiner Verlag, 2005
4. Arne Gammelgaard, “Treibholz – Deutsche Flüchtlinge in Dänemark 1945-1949”, Blavandshuk Egnsmuseum, 1993
5. Arne Gammelgaard, “Auf Führerbefehl in Dänemark – Deutsche Flüchtlinge 1945-1949”, Museet for Varde BY og Omegn, 2005
6. Leif Guldman Ipsen, “Menschen hinter Stacheldraht – Flüchtlingslager in Oksbà¸l 1945-1949”, Blavandshuk Egnsmuseum, 2002