Schülerhilfe?
Was lernen unsere Schüler über deutsche Geschichte? Das mag mancher besorgt fragen, der sich hierzu verschiedene (Schul-)Bücher anschaut. Bei Jugendlichen, die vor dem Abitur stehen, sind vor allem Kompendien beliebt, die sie gezielt auf ihre Prüfungen vorbereiten. Ein großer deutscher Discounter und ein bekanntes Nachhilfe-Unternehmen verkaufen ein Handbuch mit einer tendenziösen Geschichtsschreibung.
Vor kurzer Zeit gab es bei Aldi Süd verschiedene Handbücher für die „clevere Abiturvorbereitung“. Sie stammen aus dem „tandem-Verlag“, der zahlreiche Lernmaterialien über den beliebten Discounter vertreibt. Auf der Umschlags-Vorder- und Rückseite tragen alle Handbücher das Logo der „Schülerhilfe“. Zumindest im Exemplar für das Abiturfach Geschichte gibt es kein Vorwort oder sonstigen Hinweis, der erklären würde, in welchem Zusammenhang diese Lernhilfen mit dem aus Gelsenkirchen stammenden Franchise-Unternehmen stehen.
Evtl. ist eine Verbindung über die beiden Autoren, Dr. Volker Frielingsdorf und Dr. Hartmann Wunderer denkbar. Die beiden promovierten Historiker sind u.a. als Geschichtslehrer tätig und haben „reiche Erfahrung in Nachhilfe und in gezielter Prüfungsvorbereitung“, wie sich z.B. Dr. Frielingsdorf auf seiner Homepage präsentiert.
Gut möglich ist auch, dass die „Schülerhilfe“ diese Abitur-Kompendien bloß sponsert und damit auch für sich selbst wirbt. Wie auch immer, beim Exemplar für den Geschichtsunterricht wirkt das Gelsenkirchener Unternehmen mit seinem Anspruch „frei von ideologischen oder religiösen Zwecken oder Tendenzen zu sein“ unglaubwürdig (vgl. Homepage1)http://nachhilfe.schuelerhilfe.de/unternehmen/ueber-uns/ – abgerufen am 18.02.2012).
Das Buch „Abitur clever vorbereitet – Geschichte“ propagiert nämlich ein einseitiges Geschichtsbild, was vor allem ein Vergleich der Darstellungen der „Ära Brandt/Schmidt“ (SPD) und der „Ära Kohl“ (CDU) verdeutlicht.2)Frielingsdorf/Wunderer: Abitur clever vorbereitet – Geschichte, tandem-Verlag, ISBN: 978-3-8427-0364-3 [zitiert: Abitur]
Das zusammenfassende Kapitel über die beiden sozialdemokratischen Kanzler betont:
Von 1969 bis 1982 bestimmten 13 Jahre lang zwei sozialdemokratische Kanzler, Willy Brandt und Helmut Schmidt, an der Spitze einer sozialliberalen Koalition aus SPD und FDP die Richtlinien der bundesrepublikanischen Politik.Abitur, 173
Insgesamt auf dreieinhalb Seiten gehen die Autoren intensiv und fast durchweg mit lobenden Worten auf diese 13 sozialdemokratischen Jahre ein. Schlagworte sind dabei z.B. „Aufbruch, mit großem Elan, Reformen, großzügiger Ausbau, Durchbruch, führende Vordenker, Neuanfang, großer Wahlsieg…“. Alleine beim relativ unbedeutenden Thema „Radikalerlasse“ wird differenziert – allerdings in der Weise, dass Willy Brandt bzw. die SPD auch hier sehr souverän erscheinen.
Völlig anders wird die „Ära Kohl“, die insgesamt 16 Jahre dauerte, aufbereitet. Zum einen werden diese 16 Jahre überhaupt nicht hervorgehoben, sondern lediglich der Beginn der „liberal-konservativen Regierung“ im Jahre 1982 erwähnt. Zum anderen füllt der Beitrag nur eine halbe Seite. Einer der ersten Sätze, dass ein ausgewogenes historisches Urteil über diese Zeit heute noch nicht möglich sei, klingt eher hilflos und wirkt wie ein Feigenblatt für die nachfolgende vernichtende Kritik:
In der Kohl-Ära stieg […] das Unternehmer- und Vermögenseinkommen deutlich, während die Lohnquote sank. Aber auch günstige Konjunkturbedingungen senkten die Arbeitslosigkeit kaum. Um das wachsende Haushaltsdefizit zu verringern, wurden wiederholt sozialstaatliche Leistungen gekürzt oder gestrichen.Abitur, 177
Am Schluss der halben Seite, wird die „Wende“ 1989 nicht als Erfolg der CDU-FDP-Koalition belassen, sondern quasi als logische Konsequenz der Ostpolitik der sozialliberalen Koalition dargestellt, die von den Liberal-Konservativen zunächst scharf bekämpft und dann widerwillig fortgeführt worden sein soll.
Die wirklichkeitsferne Inkompetenz der CDU/FDP wird dann z.B. auch auf der Seite 184 noch einmal unterstrichen:
Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) legte am 28. November [Jahr?] dem Bundestag einen 10-Punkte-Plan zum Ausbau der Zusammenarbeit mit der DDR vor, der jedoch von der Wirklichkeit überholt wurde.Abitur, 184
Flucht und Vertreibung
Wenden wir uns nun diversen Ausführungen zum Thema „Flucht und Vertreibung“ zu. Da wird zunächst einmal die ZEIT zitiert, die kritisierte, dass „1955 die Tragödie des deutschen Ostens zumeist aus dem historischen Zusammenhang herausgelöst wurde“. Anschließend loben die Autoren die Gedenkansprache von Bundespräsident Richard von Weizsäcker zum 40. Jahrestag des Kriegsendes 1985:
In dieser Perspektive, die Ursache und Wirkung von Kriegsniederlage und Vertreibung nicht verwischte, konnte der Bundespräsident auch das Leid der Deutschen beklagen, ohne in den Verdacht des Aufrechnens zu geraten.Abitur, 139
Ohne in den Verdacht des Aufrechnens zu geraten? Offenbar hat keiner bemerkt, dass der Bundespräsident durchaus aufrechnet. Und zwar in deutsche Richtung, d.h. das Unrecht, das von deutscher Seite ausging, gegen das Unrecht das an Deutschen verübt wurde – wobei er letzteres als eine „kausale Wirkung“ relativiert.
Zu Beginn des Kapitels „Stunde Null und Bildung der Besatzungszonen“ (S. 144) wird schließlich versucht, das Kriegsende 1945 etwas differenzierter darzustellen. Das Leid der ostdeutschen Bevölkerung wird jedoch auch hier mit der „Furcht vor der Rache der Sieger“, den „Verbrechen von Deutschen in Polen und der Sowjetunion“ und der „Justiz der Sieger“ verknüpft. Dem angehenden Abiturienten wird damit suggeriert, dass dieses Leid zwar schmerzhaft gewesen sein mag, irgendwie gerecht war es aber schon…
Die allermeisten ostdeutschen Zivilisten hatten sich jedoch nichts zuschulden kommen lassen und sie fürchteten deswegen (!) auch nicht die Rache der Sieger. Viele wussten zudem (in „Hinterdupfingen“ ohne Internetanschluss) nichts von Verbrechen der Deutschen in Polen und der Sowjetunion. So blieben sie in ihrer Heimat bzw. wollten nach Ende der Kriegshandlungen sogleich wieder dorthin zurück.
Mindia
3. März 2016 @ 16:03
Deine zu Anfang genannte Hypothese, es würde sich bei den Texten um linke Propaganda handeln, wird im Verlauf des Artikels weder belegt noch werden annähernd schlüssige Argumente geliefert. Letztlich bleib die Aussage des Artikels relativ schwach und es ist keine stringente Argumentationsaufbau Erfolgt.
Deine Kritik an der heutigen Geschichtsschreibung mag wohl berechtigt sein, auch wenn du diese nicht anhand konkreter Argumente im Text belegen kannst.
Schade.
Potsblits
3. März 2016 @ 22:17
Vielen Dank für die Kritik. Wir haben nun „linke Propaganda“ in „einseitiges Geschichtsbild“ abgeändert.
Potsblits
Jenny Eckhardt
30. März 2017 @ 11:46
Vielen Dank für den interessanten Beitrag. neulich habe ich mich mit jemanden von der Schülerhilfe unterhalten. Er hat mir erzählt, dass der institutioneller Nachhilfeanbieter in Deutschland wieder den Besitzer wechselt.